Sonntag, 3. Dezember 2006
Schenken
Schnell heute noch ins Mercado Einkaufszentrum, um noch rechtzeitig zu meiner Verabredung fertig zu sein, die Zeit ist knapp. Ich höre Musik, eine Akkordeonmelodie klingt über den kleinen Altona-Weihnachtsmarkt zu mir. Ich halte einen Moment inne, lasse mich von der Musik anziehen. Sehe eine rothaarige junge Frau, die selbstvergessen spielt und singt. Bleibe stehen, bis zum Ende des Liedes. Dann strömen von allen Seiten Interessierte zu der Musikerin, fragen nach dem Preis ihrer CD´s. Obwohl sie sagt, sie hätte gerne 10 Euro, aber jeder soll einfach geben, was er hat, sie sei eine schlechte Geschäftsfrau, bezahlen alle 10 Euro. Mindestens.
Ich will weiter, bin schon auf der Rolltreppe als ich mich besinne. Ich möchte diese Frau gerne wiedersehen. Also zurück, das Ende des nächsten Liedes abwarten. Sie ansprechen. Jana heisst sie. Ich sage offen, ich wäre gerade ziemlich pleite, da ich von der Fotografie lebe und ich würde zwar die CD nicht kaufen, aber gerne wissen wollen, ob sie auch mal live auftritt und mir dann Bescheid gibt.
Und dann passiert das Unglaubliche, was mir noch nie passiert ist. Sie schaut mich an und fragt: "Brauchst du Geld, ich gebe dir gerne was."
"Neinnein" wehre ich ab. "So war das nicht gemeint."
"Dann nimm meine CD. Ich schenke sie dir."
Auch das verneine ich. Ich schlage ihr vor, dass sie sich erst einmal meine Website anschaut, dass sie sich erst einmal ein Bild von mir macht.
"Komm, ich möchte dir die CD gerne schenken, ausser dir gefällt meine Musik nicht."
"Doch, sogar sehr", sage ich, "deine Musik hat mich innehalten lassen, obwohl ich gerade überhaupt keine Zeit habe."

So kommen wir ins Gespräch. Ich bin schwer beeindruckt von diesem Vertrauen, der Freigiebigkeit, der Offenheit.
Nachdem wir eine ganze Weile geredet haben, verabschiede ich mich. Bevor ich gehe, möchte ich jedoch noch ein Lied hören und warte ein wenig abseits. Ich beobachte, wie ein Mann sie atemlos anspricht, als sie gerade das Akkordeon spielen will. Er sagt fröhlich, dass er sie schon einmal gehört habe und so glücklich sei, sie wiedergefunden zu haben. Er wolle ihr nämlich mitteilen, wie sehr ihm ihre Musik ins Herz gegangen sei. Und er wolle eine CD. Zehn Euro soll sie nur kosten. Ein paar Meter weiter stehe ein Strassenkünstler, der nehme 15 Euro für seine CD und er gebe ihr natürlich auch 15 Euro.

In diesem Moment weiss ich wieder klar und zweifellos, dass ich auf´s Leben vertrauen kann. Ich habe es manches mal nicht mehr gewusst, obwohl ich früher genauso war und dachte, das würde immer so bleiben. Was für ein Geschenk.

Mehr über Jana hier

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hat mich jetzt sehr gerührt, deine geschichte.

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Was für ein wunderbares Erlebnis.
Ebenfalls ergriffen...

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Hammer.
Ich gehe vorhin auf der Suche nach Zigaretten in ein Kaufhaus - ein junger Mann sieht mich kommen, hält mir die Tür auf und fragt sehr höflich, ob ich die Obdachlosenzeitung kaufen möchte. Nein, danke, sage ich, gehe rein, stelle drinnen sofort fest, dass das wohl nicht der Ort zum Zigarettenkaufen ist und gehe wieder raus. Der junge Mann hält mir die Tür auf, ich kaufe eine Obdachlosenzeitung und frage ihn, ob er weiß, wo man Zigaretten kaufen kann. Brauchste eine?, fragt er, kramt in seiner Tasche, ich hab nur Tabak, sind aber schon fertig gedreht, mit Filter! Nee, danke, sag ich, ich muss ja dann eh welche kaufen. Kannste aber gerne haben, sagt er, echt!
Wenn ich ihn um ein paar Euro gebeten hätte, hätte er sie mir auch gegeben, bestimmt.

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1989 muss das gewesen sein: Ich sitze mit Freunden in der Morena Bar in Berlin, wir Frühstücken. Räucherlachs, Krabbensalat, Rührei, Croissants, dampfende Milchkaffee-Eimer. Alle drei Minuten stört wer. Willst Du ein Bild kaufen, ein Gedicht kaufen, eine Rose kaufen, haste mal ne Mark. Es nervt. Und dann kommt sie. Zierliche Punkfrau, sehr hübsch. Nützt aber nichts mehr, Paulsen hat schlechte Laune. "Hast Du mal ne Mark für mich?" fragt sie. Ich werde laut, rolle mit den Augen: "Boah, nö! Aber hast Du vielleicht mal ne Mark für mich!" - "Klar." antwortet sie freundlich, legt eine Mark neben den Teller mit dem Krabbenrührei und geht lächelnd.

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tolle geschichte. manchmal glaub ich ja, man muss erst wohlhabend werden, um auch ein arschloch zu sein. wer nichts hat, kann ja nichts verlieren, aber verschenken kann er trotzdem sehr viel. mehr, als er sich selbst vorzustellen vermag, mehr als man zu erhalten können glaubt.
@ herr paulsen: hammse ma n krabbenrührei für mich? mann, hab ich das schon lange nicht mehr gegessen. zeit wird´s. und inspiration ist auch ein geschenk. sowieso. ;)

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