Donnerstag, 14. Februar 2008
Frau O.
Gestern besuche ich Frau O. im Hospiz. Wir haben uns bereits letzte Woche kennengelernt. Frau O. ist um die 50, hat Krebs und lebt seit November hier. Eine ungewöhnlich lange Zeit im Vergleich zur durchschnittlichen Verweildauer von 21 Tagen. Da um Frau O. alle Menschen sehr schnell sterben, verlässt sie selten ihr Zimmer.
Sie freut sich über Besuch, man kommt schnell mir ihr in Kontakt. Sie ist nicht leicht zufrieden zu stellen. Vieles hat sie im Leben scheinbar nicht bekommen. Sie ist ein bisschen vorwürfig. Und sie leidet. Doch sie ist dabei liebenswert, auf eine Art fein und reizend wie eine Prinzessin. Als wäre sie hier nur durch Zufall. Aber ihre tiefen Augenringe lassen die Schwere ihrer Krankheit erahnen.
Wir reden, trinken Kaffee, essen mitgebrachten Kuchen von einem edlen Service. Frau O. hat sich sehr schön und häuslich eingerichtet mit eigenen Möbeln, Bildern, Bettwäsche, Kaffeemaschine, vielen Blumen. Ihre eigene Wohnung hat sie längst aufgegeben. Keiner hätte vermutet, dass sich ihr Zustand noch einmal so stabilisieren würde.
Wir sitzen also bei Kaffee und Kuchen und reden über dies und das. Bis Frau O. plötzlich ganz ernst wird und sagt, sie habe gestern mit ihrer 93jährigen Tante telefoniert, die 600km entfernt wohnt. Und in diesem Gespräch wäre beiden klar geworden, dass sie sich wohl nicht mehr wiedersehen würden. Sie rollt dabei mit dem Rollstuhl ein Stück von mir weg. Behutsam ziehe ich Frau O. mit dem Rollstuhl zu mir hin, bis ich ihre Hände fassen kann. Und dann kommen die Tränen, viele Tränen. Es wird ganz schwer im Zimmer. Sie weint, weil sie erst Anfang 50 ist, weil sie ihre Arbeit verloren hat, ihr Auto, ihr Zuhause, einen grossen Teil ihres Lebens. Dass es ungerecht sei und so schnell kam. Dass sie sich wie aus dem Leben gerissen fühle. Und dass sie nicht sterben wolle.

Ich habe mich vor solch einer Situation insgeheim immer gefürchtet. Ich dachte, ich würde selbst ganz grosse Angst bekommen. Statt dessen weiss ich einfach nur ganz klar, dass es ist wie es ist. Dass ich nichts ändern kann an dieser Tatsache. Dass ich froh bin, dass sich mir Frau O. anvertraut, dass sie mir ihre letzte Zeit schenkt. Ich bin mir sicher, dass Frau O. in Frieden sterben wird, irgendwann wenn es so weit ist. Darauf will ich vertrauen.

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Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, ich könnte das nicht, was Du da tust. Es würde mich zerreißen. Du hast meine größte Bewunderung dafür!

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Denkst Du, ich bin mir sicher (gewesen)? jede Situation und Begegnung ist neu und ich habe oft ganz doll Herzklopfen vor Aufregung. Die Aufregung kommt aber daher, weil ich mir versuche vorzustellen, wie es ist. In Wirklichkeit fühle ich mich anders als in meiner Vorstellung. Aber es macht mir auch Angst, hinterher. Nur dass es gut tut, mich ihr zu stellen.
Der Tod gehört zum Leben, zu jedem Leben...Als mir das mehr und mehr bewusst wurde, habe ich angefangen, mich für "ihn" zu interessieren. Also: weg mit der Bewunderung:)

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Doch wohl! Ich bewundere Dich. Basta.

Ich slebst habe keine Angst vor dem Tod und ich habe auch keine Probleme mit dem Älterwerden (im Gegensatz zu so vielen in meinem Umfeld). Aber ich habe sehr viel Repekt vor dem Sterben und regelrecht Angst vor andauerden Scherzen, die damit einher gehen können. Ich würde am Liebsten sterben wie mein Großvater, der zu einem selbst gewählten Zeitpunkt (er war über 90 JAhre alt - was er immmer werden wollte) einfach seine Herzmedikamente absetzte und fliedlich an seinem Lieblingsplatz eingeschlafen ist. Aber ich werde mir das wohl nicht aussuchen können.

Außerdem finde ich es oft viel schwieriger, mich mit dem leiden anderer konfrontiert zu sehen. Es tut mir in der Seele weh. Meine eigenen Gebrechen und Krankheiten (und ich habe schon ein paar recht schmerzhafte durch) kommen mir dagegen immer verhältnismäßig nichtig vor. Das größte Problem ist aber dieses Nicht-Helfen-Können. Ich kann dann ja nichts TUN, sondern muss einfach da sein, dabei ist mir dann eher nach Flucht.
Dir scheint es da nicht so zu gehen. Du bist ganz bewusst für sterbende Menschen da, nimmst Dir Zeit und begegnest ihnen mit Geduld und Einfühlsamkeit. Doch. Bewunderswert.

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Fünfzig. Wie leicht zu verstehen, dass man noch mit fünfzig meint, gerade erst angefangen zu haben. (Wie schnell doch alles geht.)
Hoffentlich hast du recht. Hoffentlich erfährt sie Frieden, bevor sie das Bewusstsein verliert. Man wünscht es anderen und letztlich sich selbst.

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50 ist wirklich hart. Es ist immer hart, aber so auch ein weiterer Hinweis darauf, sich nicht selbst auf später zu verströsten oder Versprechungen machen zu lassen. Immer auch den Augenblick leben. Häßlich, wenn es so mies und so schnell geht.

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Habe aktuell Gänsehaut und Sprachlähmung. Aber meinen allergrössten Respekt, den kann ich Ihnen aussprechen.

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