Freitag, 4. August 2006
Sehnsucht
Das Geheimnis der unvergleichlichen Marillenknödel meiner Oma war, es waren immer zu wenige, so dass die Sehnsucht genährt wurde.
kerstin13, 23:16h ... link (2 Kommentare) ... comment
Samstag, 29. Juli 2006
Was kann ich fuer den Frieden tun?
Ich bin doch machtlos! Hat denn meine einzelne Stimme überhaupt Gewicht?
In einer Fabel wird erzählt:
"Sag mir, was wiegt eine Schneeflocke?" fragte die Tannenmeise die Wildtaube.
"Nicht mehr als ein Nichts" gab sie zur Antwort.
"Dann muss ich dir eine wunderbare Geschichte erzählen", sagte die Meise. "Ich sass auf dem Ast einer Fichte, dicht am Stamm, als es zu schneien anfing; nicht etwa heftig im Sturmgebraus, nein, wie im Traum, lautlos und ohne Schwere. Da ich nichts besseres zu tun hatte, zählte ich die Schneeflocken, die auf die Zweige und auf die Nadeln des Astes fielen und darauf hängenblieben. Genau dreimillionensiebenhundereinundvierzigtausendneunhundertzweiund-
fünfzig waren es. Und als die dreimillionensiebenhundereinundvierzigtausendneunhundert-
dreiundfünfzigste Flocke niederfiel, nicht mehr als ein Nichts, brach der Ast ab."
Damit flog die Meise davon.
Die Taube, die seit Noahs Zeiten eine Spezialistin in dieser Frage war, sagte zu sich nach kurzem Nachdenken:
"Vielleicht feht nur eines einzelnen Stimme zum Frieden der Welt."
In einer Fabel wird erzählt:
"Sag mir, was wiegt eine Schneeflocke?" fragte die Tannenmeise die Wildtaube.
"Nicht mehr als ein Nichts" gab sie zur Antwort.
"Dann muss ich dir eine wunderbare Geschichte erzählen", sagte die Meise. "Ich sass auf dem Ast einer Fichte, dicht am Stamm, als es zu schneien anfing; nicht etwa heftig im Sturmgebraus, nein, wie im Traum, lautlos und ohne Schwere. Da ich nichts besseres zu tun hatte, zählte ich die Schneeflocken, die auf die Zweige und auf die Nadeln des Astes fielen und darauf hängenblieben. Genau dreimillionensiebenhundereinundvierzigtausendneunhundertzweiund-
fünfzig waren es. Und als die dreimillionensiebenhundereinundvierzigtausendneunhundert-
dreiundfünfzigste Flocke niederfiel, nicht mehr als ein Nichts, brach der Ast ab."
Damit flog die Meise davon.
Die Taube, die seit Noahs Zeiten eine Spezialistin in dieser Frage war, sagte zu sich nach kurzem Nachdenken:
"Vielleicht feht nur eines einzelnen Stimme zum Frieden der Welt."
Sonntag, 23. Juli 2006
Die Muetze meines Opas
von Selim Özdogan aus Trinkgeld vom Schicksal
Es liegt ein Trost in der hinduistischen Vorstellung, dass die Dinge der äusseren Welt nur eine Illusion sind. Denn wer lebt, verliert. Meistens eher beiläufig, Feuerzeuge, Kugelschreiber, Socken, Münzen, manchmal gähnt man vor Langeweile, wenn schon wieder eine Büroklammer spurlos verschwunden ist. Doch ab und an kommen einem Dinge abhanden, deren Verlust schmerzt. Je mehr du besitzt, desto mehr besitzt dich und kettet dich an diese Welt, je mehr dein Herz an Andenken, Erbstücken, Kuscheltieren und Glücksbringern hängt, desto schwerer wird es.
Ich weiss nicht, was mit der Mütze meines Opas nach seinem Tod passiert ist. Damals bin ich noch nicht mal auf die Idee gekommen, danach zu fragen, selbst wenn es mir eingefallen wäre, hätte ich wahrscheinlich nicht darum gebeten, sie als Erinnerung haben zu dürfen. Ich versuche zu vermeiden, Dinge anzuhäufen, die verloren gehen können. Oder einen nach Jahren nur noch vor Langeweile gähnen zu lassen.
Es war eine dunkelgraue Stoffmütze mit Schirm, wie sie die Männer aus ländlichen Gegenden in der Türkei öfter tragen. Ich kann mich nur selten an Gelegenheiten erinnern, bei denen mein Opa sie nicht trug, wenn er draussen war. Doch im Haus liess er sie gerne auf dem Diwan liegen, auf dem Kühlschrank, dem Radio, später dem Fernseher, irgendwo, wo er sie schnell finden konnte.
Ich muss vier oder fünf Jahre alt gewesen sein, als ich sie zum ersten Mal unbeobachtet in die Hand nahm. Ich hatte nicht das Gefühl, etwas Verbotenes zu tun, aber ich wollte auch nicht entdeckt werden. Was ich tat, erschien mir sehr intim, und ich hatte eine Ahnung von der Scham, die mich überkommen würde, sollte mich jemand so sehen. Diese Mütze trug er den ganzen Tag auf dem Kopf, sie war ein Teil von ihm. Ich nahm sie in die Hand, untersuchte die speckigen Ränder, wunderte mich über die gefalteten Zeitungsstreifen, die mein Opa unter den Saum geschoben hatte. Dann führte ich die Mütze vorsichtig an meine Nase. Seitdem habe ich diesen Geruch nie wieder vergessen. Es roch nach Leder, Schweiss, Talg, Papier, Druckerschwärze, Holz. Ein brauner, erdiger Geruch, ein wenig stumpf, ein wenig säuerlich, aber kein bisschen muffig, wie alte Männer schon mal riechen. Nicht nur die Mütze, auch der strenge Körpergeruch meines Opas sind mir nie muffig vorgekommen. Ich habe das später darauf zurückgeführt, dass er immer viel an der frischen Luft gearbeitet hat, bis kurz vor seinem Tod hat er sich noch um den Garten gekümmert und ist Moped gefahren. Es kam kaum vor, dass er drinnen sass und vor Langeweile gähnte.
Möglicherweise hat er sich im Laufe der Jahre eine neue Mütze gekauft, doch dann war es genau die gleiche, und er hatte den Winter und den Frühling über Zeit, sie zu tragen, so dass ich sie in den Sommerferien, wenn wir ihn besuchten, nicht von den anderen unterscheiden konnten. In meiner Vorstellung ist es über zwanzig Jahre lang dieselbe Mütze gewesen, was nicht sein kann, aber es war zwanzig Jahre immer derselbe Geruch, den ich so nie mehr gefunden habe und an dem so viele Erinnerungen für mich hängen.
Eines Tages traute ich mich, meine Grossmutter zu fragen, was es mit der Zeitung unter dem Saum auf sich hatte. Und sie erzählte mir, die Zeitung würde verhindern, dass die Mütze stank. Dann gähnte sie. Wahrscheinlich aus Langeweile.
Die Mütze symbolisierte alles für mich, was ich an meinem Opa liebte und schätzte, und der Geruch war die Seele der Mütze. Manchmal sehe ich ähnliche Mützen, aber sie bedeuten mir nichts, setzen noch nicht mal Bilder in meinem Kopf frei. Doch es passiert, dass ich etwas rieche, das mich an diesen Duft erinnert, brüchiges Leder, an dem Lehm klebt, der Schweiss eines alten Mannes, der mich umarmt, das Baumhaus meines Neffen nach dem Regen, der Mundgeruch eines Boulespielers, der vor Langeweile gähnt. Dann kann ich meinem Opa nah sein, ich kann ihn fühlen, ich werde warm und weich. Es liegt ein Trost darin, dass das ohne Mütze funktioniert, es liegt etwas Erhabenes in der Vorstellung, dass der Geruch in einer anderen Welt immer noch existiert, immer existiert hat und immer existieren wird.
Es liegt ein Trost in der hinduistischen Vorstellung, dass die Dinge der äusseren Welt nur eine Illusion sind. Denn wer lebt, verliert. Meistens eher beiläufig, Feuerzeuge, Kugelschreiber, Socken, Münzen, manchmal gähnt man vor Langeweile, wenn schon wieder eine Büroklammer spurlos verschwunden ist. Doch ab und an kommen einem Dinge abhanden, deren Verlust schmerzt. Je mehr du besitzt, desto mehr besitzt dich und kettet dich an diese Welt, je mehr dein Herz an Andenken, Erbstücken, Kuscheltieren und Glücksbringern hängt, desto schwerer wird es.
Ich weiss nicht, was mit der Mütze meines Opas nach seinem Tod passiert ist. Damals bin ich noch nicht mal auf die Idee gekommen, danach zu fragen, selbst wenn es mir eingefallen wäre, hätte ich wahrscheinlich nicht darum gebeten, sie als Erinnerung haben zu dürfen. Ich versuche zu vermeiden, Dinge anzuhäufen, die verloren gehen können. Oder einen nach Jahren nur noch vor Langeweile gähnen zu lassen.
Es war eine dunkelgraue Stoffmütze mit Schirm, wie sie die Männer aus ländlichen Gegenden in der Türkei öfter tragen. Ich kann mich nur selten an Gelegenheiten erinnern, bei denen mein Opa sie nicht trug, wenn er draussen war. Doch im Haus liess er sie gerne auf dem Diwan liegen, auf dem Kühlschrank, dem Radio, später dem Fernseher, irgendwo, wo er sie schnell finden konnte.
Ich muss vier oder fünf Jahre alt gewesen sein, als ich sie zum ersten Mal unbeobachtet in die Hand nahm. Ich hatte nicht das Gefühl, etwas Verbotenes zu tun, aber ich wollte auch nicht entdeckt werden. Was ich tat, erschien mir sehr intim, und ich hatte eine Ahnung von der Scham, die mich überkommen würde, sollte mich jemand so sehen. Diese Mütze trug er den ganzen Tag auf dem Kopf, sie war ein Teil von ihm. Ich nahm sie in die Hand, untersuchte die speckigen Ränder, wunderte mich über die gefalteten Zeitungsstreifen, die mein Opa unter den Saum geschoben hatte. Dann führte ich die Mütze vorsichtig an meine Nase. Seitdem habe ich diesen Geruch nie wieder vergessen. Es roch nach Leder, Schweiss, Talg, Papier, Druckerschwärze, Holz. Ein brauner, erdiger Geruch, ein wenig stumpf, ein wenig säuerlich, aber kein bisschen muffig, wie alte Männer schon mal riechen. Nicht nur die Mütze, auch der strenge Körpergeruch meines Opas sind mir nie muffig vorgekommen. Ich habe das später darauf zurückgeführt, dass er immer viel an der frischen Luft gearbeitet hat, bis kurz vor seinem Tod hat er sich noch um den Garten gekümmert und ist Moped gefahren. Es kam kaum vor, dass er drinnen sass und vor Langeweile gähnte.
Möglicherweise hat er sich im Laufe der Jahre eine neue Mütze gekauft, doch dann war es genau die gleiche, und er hatte den Winter und den Frühling über Zeit, sie zu tragen, so dass ich sie in den Sommerferien, wenn wir ihn besuchten, nicht von den anderen unterscheiden konnten. In meiner Vorstellung ist es über zwanzig Jahre lang dieselbe Mütze gewesen, was nicht sein kann, aber es war zwanzig Jahre immer derselbe Geruch, den ich so nie mehr gefunden habe und an dem so viele Erinnerungen für mich hängen.
Eines Tages traute ich mich, meine Grossmutter zu fragen, was es mit der Zeitung unter dem Saum auf sich hatte. Und sie erzählte mir, die Zeitung würde verhindern, dass die Mütze stank. Dann gähnte sie. Wahrscheinlich aus Langeweile.
Die Mütze symbolisierte alles für mich, was ich an meinem Opa liebte und schätzte, und der Geruch war die Seele der Mütze. Manchmal sehe ich ähnliche Mützen, aber sie bedeuten mir nichts, setzen noch nicht mal Bilder in meinem Kopf frei. Doch es passiert, dass ich etwas rieche, das mich an diesen Duft erinnert, brüchiges Leder, an dem Lehm klebt, der Schweiss eines alten Mannes, der mich umarmt, das Baumhaus meines Neffen nach dem Regen, der Mundgeruch eines Boulespielers, der vor Langeweile gähnt. Dann kann ich meinem Opa nah sein, ich kann ihn fühlen, ich werde warm und weich. Es liegt ein Trost darin, dass das ohne Mütze funktioniert, es liegt etwas Erhabenes in der Vorstellung, dass der Geruch in einer anderen Welt immer noch existiert, immer existiert hat und immer existieren wird.
kerstin13, 05:25h ... link (1 Kommentar) ... comment
Montag, 3. Juli 2006
was ist erfolg?
oft und viel lachen
die achtung kluger menschen menschen und die zuneigung von kindern gewinnen
das lob ehrlicher kritiker ernten und den betrug falscher freunde ertragen
schönheit anerkennen
in anderen das beste sehen
die welt etwas besser zurücklassen, sei es durch ein gesundes kind, ein gartenbeet oder verbesserte soziale zustände
wissen, dass auch nur ein leben leichter gelebt wurde, weil du gelebt hast
das ist erfolg!
(ralph w. emerson)
die achtung kluger menschen menschen und die zuneigung von kindern gewinnen
das lob ehrlicher kritiker ernten und den betrug falscher freunde ertragen
schönheit anerkennen
in anderen das beste sehen
die welt etwas besser zurücklassen, sei es durch ein gesundes kind, ein gartenbeet oder verbesserte soziale zustände
wissen, dass auch nur ein leben leichter gelebt wurde, weil du gelebt hast
das ist erfolg!
(ralph w. emerson)
kerstin13, 18:10h ... link (2 Kommentare) ... comment
Samstag, 14. Januar 2006
"immer versucht. immer gescheitert. einerlei.
wieder versuchen, wieder scheitern. besser scheitern."
samuel beckett
gefällt mir.
wieder versuchen, wieder scheitern. besser scheitern."
samuel beckett
gefällt mir.
kerstin13, 19:28h ... link (3 Kommentare) ... comment
Donnerstag, 24. November 2005
zitate
wo hier derzeit die zitate fliessen - mir gehen gerade die helden nicht aus dem kopf...
"ich weiss nicht weiter,
ich weiss nicht wo wir sind.
ich weiss nicht weiter,
von hier an blind."
da hilft wohl nur vertrauensvoll ins ungewisse fallen lassen...:)
"ich weiss nicht weiter,
ich weiss nicht wo wir sind.
ich weiss nicht weiter,
von hier an blind."
da hilft wohl nur vertrauensvoll ins ungewisse fallen lassen...:)
kerstin13, 12:43h ... link (0 Kommentare) ... comment
Sonntag, 18. September 2005
billig einkaufen
" Es gibt kaum etwas auf der Welt, das nicht irgend jemand ein wenig schlechter machen kann und ein wenig billiger verkaufen könnte, und die Menschen, die sich nur am Preis orientieren, werden die gerechte Beute solcher Machenschaften.
Es ist unklug, zuviel zu bezahlen, aber es ist auch unklug, zuwenig zu bezahlen. Wenn Sie zuviel bezahlen, verlieren Sie etwas Geld, das ist alles. Wenn Sie dagegen zuwenig bezahlen, verlieren Sie manchmal alles, da der gekaufte Gegenstand die ihm zugedachte Aufgabe nicht erfüllen kann.
Das Gesetz der Wirtschaft verbietet es, für wenig Geld viel Wert zu erhalten. Nehmen Sie das niedrigste Angebot an, müssen Sie für das Risiko, das Sie eingehen, etwas hinzurechnen. Wenn Sie dies tun, dann haben Sie auch genug Geld, um für etwas Besseres mehr zu bezahlen."
john ruskin, sozialkritiker
Es ist unklug, zuviel zu bezahlen, aber es ist auch unklug, zuwenig zu bezahlen. Wenn Sie zuviel bezahlen, verlieren Sie etwas Geld, das ist alles. Wenn Sie dagegen zuwenig bezahlen, verlieren Sie manchmal alles, da der gekaufte Gegenstand die ihm zugedachte Aufgabe nicht erfüllen kann.
Das Gesetz der Wirtschaft verbietet es, für wenig Geld viel Wert zu erhalten. Nehmen Sie das niedrigste Angebot an, müssen Sie für das Risiko, das Sie eingehen, etwas hinzurechnen. Wenn Sie dies tun, dann haben Sie auch genug Geld, um für etwas Besseres mehr zu bezahlen."
john ruskin, sozialkritiker
kerstin13, 02:09h ... link (3 Kommentare) ... comment
Samstag, 10. September 2005
das fenster
von haruki murakami
übersetzerin nora bierich
sehr geehrte dame,
mit jedem tag schwindet die winterliche kälte, und in jedem sonnenstrahl kündigt sich der zarte duft des frühlings an. ich hoffe, es geht ihnen gut.
ihren letzten brief habe ich mit vergnügen gelesen. besonders die passage über das verhältnis zwischen hamburger steaks und muskatnuss war recht gut und mit viel sinn für das alltägliche leben geschrieben. mir stiegen die warmen küchendüfte förmlich in die nase, und ich glaubte zu hören, wie das messer die zwiebeln zerhackte. eine einzige stelle dieser art verleiht einem brief bereits lebendigkeit.
beim lesen ihres briefes überkam mich ein solcher heisshunger auf hamburger steaks, dass ich noch am selben abend in ein restaurant um die ecke ging und ein hamburger steak bestellte. zu meiner überraschung bot dieses restaurant acht verschiedene sorten hamburger steak an. es gab steak auf texanische art, auf californische art, auf hawaiische art, auf japanische art und auf noch andere arten. texanische art bedeutet besonders gross. das ist alles. wenn die texaner das wüssten, wären sie sicher erstaunt. das steak auf hawaiische art ist mit ananasscheiben garniert. californische art... habe ich wieder vergessen. bei der japanischen art ist geriebener rettich dabei. der laden ist schick eingerichtet, die kellnerinnen sind alle hübsch und tragen sehr kurze röcke.
aber ich bin nicht dorhin gegangen, um studien über die inneneinrichtung des restaurants zu betreiben oder die beine der bedienung zu betrachten. ich ging einzig und allein dorthin, um ein hamburger steak zu essen, und zwar ein ganz normales hamburger steak, ohne irgendeine art.
ich sagte der kellnerin, dass ich ein ganz normales hamburger steak essen wolle.
die kellnerin antwortete, es täte ihr sehr leid, aber ich könne in diesem restaurant nur steaks auf diese oder jene art essen.
natürlich war das nicht die schuld der kellnerin. nicht sie betimmte die speisekarte, und sie trug auch gewiss nicht freiwillig diese uniform, die jedesmal, wenn sie das geschirr abräumte, einen blick auf ihre schenkel gewährte. deswegen lächelte ic freundlich und bestellte ein hamburger steak auf hawaiische art. ich könne ja die ananas zur seite legen, erklärte sie mir.
die welt ist sonderbar. obwohl ich lediglich ein ganz normales hamburger steak möchte, ist dies in gewissen momenten nur in form eines hamburger steaks auf hawaiische art möglich, von dem man die ananas entfernt.
bei dem von ihnen zubereiteten hamburger steak handelt es sich wohl um ein ganz normales hamburger steak, oder? beim lesen ihres briefes bekam ich jedenfalls richtig lust auf ein von ihnen zubereitetes ganz normales hamburger steak.
im gegensatz dazu hatte ich bei der stelle über die fahrkartenautomaten der staatlichen eisenbahn den eindruck, sie sei etwas zu oberflächlich. ihr ansatz ist zwar interessant, aber die szenerie wird dem leser nicht richtig begreiflich. versuchen sie bitte nicht, irgendwie scharfsinnig zu sein. ein text ist letztendlich ein ersatz.
insgesamt möchte ich ihren neuesten brief mit 70 punkten bewerten. langsam, aber sicher verbessert sich ihr schriftlicher ausdruck. bitte werden sie nicht ungeduldig und bemühen sie sich weiter. ich freue mich schon auf ihren nächsten brief. wie schön wäre es, wenn es bald frühling würde.
tokyo, den 12.märz
ps. vielen dank für die keksschachtel. die kekse waren delikat. da die bestimmungen unserer firma jedoch jedweden persönlichen verkehr ausserhalb von briefen untersagen, bitte ich sie, von weiteren freundlichkeiten dieser art abzusehen. haben sie trotzdem vielen dank.
ich behielt diesen job etwa ein jahr. damals war ich zweiundzwanzig.
ich hatte einen vertrag mit einer seltsamen kleinen firma in iidabashi namens "pen society" geschlossen und schrieb jeden monat über dreissig solcher briefe. für jeden diesen briefe erhielt ich 2000 yen.
"lernen auch sie briefe schreiben, die zu herzen gehen", hiess der slogan dieser firma. neue mitglieder zahlten eine einmalige aufnahmegebühr und einen monatlichen beitrag, dafür konnten sie jeden monat vier briefe an die pen society schicken. im gegenzug korrigierten wir pen master die briefe und schrieben antworten wie die oben zitierte, in denen wir unsere eindrücke wiedergaben und verbesserungsvorschläge machten. ich war im studentenbüro der literaturfakultät auf den aushang der firma gestossen, in dem sie junge leute für diese tätigkeit warb, und hatte mich für ein bewerbungsgespräch gemeldet. aufgrund verschiedener umstände hatte ich mich damals gerade dazu entschlossen, mein studium um ein jahr zu verlängern. meine eltern hatten mir mitgeteilt, dass sie im falle eines zusätzlichen studienjahres die monatlichen zuwendungen nächstes jahr kürzen würden. das zwang mich, meinen lebensunterhalt selbst zu verdienen. ich ging also zu dem bewerbungsgespräch, schrieb ein paar aufsätze und wurde eine woche später eingestellt. in der folgenden woche wurde ich von einem dozenten über die kunst der korrektur, das know-how des anleitens und über verschiedene vorschriften unterrichtet. es war nicht besonders schwer.
den weiblichen mitgliedern wurden männliche, den männlichen mitgliedern weibliche pen master zugeteilt. ich war für insgesamt vierundzwanzig mitglieder verantwortlich, deren alter von vierzehn bis dreiundfünfzig reichte. das durchschnittsalter lag zwischen fünfundzwanzig und fünfunddreissig, der grossteil der frauen war also älter als ich. den ersten monat verwirrte mich das sehr. die meisten mitglieder verfügten über einen viel elaborierteren stil und waren viel erfahrener im briefeschreiben als ich. ehrlich gesagt, hatte ich bis dahin kaum ernsthafte briefe verfasst. blut und wasser schwitzend, brachte ich irgendwie den ersten monat herum. ich war darauf gefasst, dass einige mitglieder nach einem neuen pen master verlangen würden - ein reicht, das den mitgliedern laut firmenstatut zugebilligt wurde.
aber nach ablauf eines monats hatte kein einziges mitglied unzufriedenheit über meine stilistische fähigkeiten geäussert. im gegenteil, der geschäftsinhaber teilte mir mit, dass ich ausserordentlich beliebt sei. nach drei monaten schien sich die ausdrucksfähigkeit meiner mitglieder aufgrund meiner anleitung sogar verbessert zu haben. es war sonderbar. die frauen schienen mir als lehrer tiefes vertrauen entgegenzubringen. infolgedessen gelang es mir, meine briefkommentare von nun an viel unbeschwerter und lockerer zu formulieren.
wenn ich jetzt darüber nachdenke, weiss ich, dass diese frauen (beziehungsweise männer) alle sehr einsam waren. sie wollten nur sich jemanden in einem brief mitteilen. doch es fehlte ihnen - eine tatsache, die mir damals unglaublich erschien - freunde oder bekannte, an die sie diese briefe richten konnten. sie waren nicht der typ, der briefe an diskjockeys vom radio schickte. sie suchten eine persönlichere form. auch wenn diese die gestalt von korrekturen und kommentaren annahm.
so verbrachte ich also einen teil meiner frühen zwanziger wie ein seehund auf dem trockenen in einem harem lauer briefe.
unter den briefen, die mir die mitglieder schickten, gab es alle möglichen sorten. es gab langweilige briefe, lustige briefe und traurige briefe. dies ist jetzt alles schon lange her, und ich habe die briefe auch leider nicht vor mir liegen (denn eine bestimmung besagte, dass alle briefe an die firma zurückgegeben werden mussten). ich erinnere mich daher nicht mehr genau an ihre inhalte, aber ich weiss noch, dass in diesen briefen wirklich die verschiedensten vorgänge des menschlichen lebens - vom grossen ereignis bis zum kleinsten kleinkram - ausgebreitet, zusammengedrängt und preisgegeben wurden. für mich ein- oder zweiundzwanzigjährigen studenten besassen die botschafen, die diese frauen übermittelten, eine seltsame unwirklichkeit. in den meisten fällen schienen sie mir jeder realität zu entbehren, und manchmal hatte ich das gefühl, als seien sie ganz und gar bedeutungslos. das lag jedoch nicht nur daran, dass es mir an lebenserfahrung fehlte. erst heute ist mir klar, dass in den meisten fällen die realität der dinge nicht vermittelt wird. die realität muss hergestellt werden. dadurch entsteht dann eine bedeutung. aber damals wusste ich das natürlich noch nicht, und auch die frauen wussten es nicht. und das ist wahrscheinlich auch der grund dafür, dass mir alles, was in diesen briefen beschrieben wurde, sonderbar einförmig vorkam.
als ich den job kündigte, bedauerten das alle von mir betreuten mitglieder. auch mir tat es in gewissem sinne leid - obwohl ich , ehrlich gesagt, schon leichte aversionen gegen dieses andauernde briefeschreiben entwickelt hatte. ich ahnte, dass ic nicht noch einmal gelegenheit hatte, dass sich so viele menschen mir gegenüber so offen aussprechen würden.
was das hamburger steak anbelangt, ergab es sich, dass ich tatsächlich ein von ihr (meiner ersten briefeschreiberin) zubereitetes hamburger steak serviert bekam.
sie war zweiunddreissig und hatte keine kinder. ihr mann war in der fünftgrössten handelsfirma des landes angestellt. als ich ihr in meinem letzten brief schrieb, dass ich leider zum ende des monats aufhören würde, lud sie mich zum mittagessen ein. "ich bereite ihnen ein ganz normales hamburger steak", schrieb sie. und obwohl es gegen die verordnung der firma war, beschloss ich, hinzugehen. nichts stand der neugier eines zweiundzwanzigjährigen jungen mannes entgegen.
ihre wohnung lag direkt an den gleisen der odakyu-linie. die zimmer waren einfach, wie es sich für ein kinderloses ehepaar geziemte. die möbel, die lampen und auch ihr pullover machten keinen besonders teuren eindruck, aber alles war sehr geschmackvoll. unsere begegnung begann mit einer gegenseitigen überraschung: ich war überrascht, dass sie viel jünger wirkte, als ich sie mir vorgestellt hatte, sie, dass ich viel jünger war, als sie vermutet hatte. sie hatte geglaubt, ich sei älter als sie. die pen society gibt das alter ihrer pen master nicht bekannt.
doch nachdem sich unsere jeweilige überraschung gelegt hatte, löste sich auch die spannung, die man bei einem ersten treffen empfindet. einträchtig wie zwei fahrgäste, die denselben zug verpasst hatten, assen wir unsere hamburger steaks und tranken kaffee. bei zug fällt mir übrigens ein, dass man vom fenster ihrer wohnung im dritten stock aus die bahngleise sehen konnte. es war wunderschönes wetter an diesem tag, überall auf den balkons der umliegenden wohnungen hingen futons und laken zum lüften in der sonne. von zeit zu zeit hörte man, wie ein futon ausgeklopft wurde. ich kann mich auch jetzt noch an dieses geräusch erinnern. seltsamerweise wusste man nicht, ob es von nahem oder von weitem kam.
ihr hamburger steak schmeckte vorzüglich. es war genau richtig gewürzt und war aussen kross und innen noch ganz saftig. auch die sauce war perfekt. und obwohl ich vielleicht nicht behaupten kann, noch nie in meinem leben ein vorzügliches hamburger steak gegessen zu haben, war es doch das beste seit langem. sie freute sich, als ich ihr das sagte.
nach dem kaffe erzählten wir uns, während eine platte von burt bacharach lief, unsere lebensgeschichte. das heisst, da ich noch keine richtige lebensgeschichte hatte, redete sie fast die ganze zeit. als studentin wollte sie schriftstellerin werden, sagte sie. sie bewunderte francaoise sagan und erzählte mir von ihr. besonders gefiel ihr aimez-vous brams? ich hatte nichts gegen sagan. auf jeden fall fand ich sie nicht so vulgär, wie behauptet wurde. es müssen ja nicht alles so schreiben wie henry miller oder jean genet.
"aber ich kann nicht schreiben", sagte sie.
"es ist nie zu spät, damit anzufangen", sagte ich.
"nein, da bin ich mir sicher. sie waren derjenige, der mir das gezeigt hat", sagte sie lachend. "ich begriff es, als ich ihnen briefe schrieb. ich besitze kein talent."
ich wurde rot. mittlerweile passiert mir das zwar nicht mehr oft, aber mit zweiundzwanzig errötete ich noch ständig. "in dem was sie schrieben, lag eine grosse aufrichtigkeit", sagte ich.
sie antwortete nicht und lächelte nur ein wenig. ein leises lächeln.
"zumindest habe ich beim lesen ihres briefes lust auf hamburger steak bekommen."
"sie müssen sehr hungrig gewesen sein", sagte sie freunlich.
nun, vielleicht stimmte das.
mit dumpfen rattern fuhr unter dem fenster ein zug vorbei.
als die uhr fünf schlug, sagte ich, dass ich langsam gehen müsse. "sie wollen sicher noch das abendessen vorbereiten, bevor ihr mann nach hause kommt."
"mein mann kommt sehr spät", sagte sie, den kopf auf die hände gestützt. "er kommt nicht vor mitternacht heim."
"ihr mann ist sehr beschäftigt."
"ja, wahrscheinlich", sagte sie und machte eine kleine pause.
"ich glaube, ich haben ihnen einmal in einem brief davon geschrieben. ich kann mit meinem mann über viele dinge nicht wirklich reden. ich kann ihm meine gefühle nicht vermitteln. wenn ich mit ihm spreche, habe ich oft den eindruck, als sprächen wir unterschiedliche sprachen."
ich wusste nicht, was ich ihr antworten sollte. mir war unverständlich, wie man mit jemandem zusammenleben konnte, dem man seine gefühle nicht mitzuteilen vermochte.
"aber das ist schon in ordnung", sagte sie leise. so wie sie es sagte, schien es wirklich in ordnung zu sein. "vielen dank, dass sie mir über eine so lange zeit briefe geschrieben haben. es war mir eine grosse freude. ihnen schreiben zu dürfen, hat mir wirklich sehr geholfen", sagte sie.
"mir haben die briefe auch freude gemacht", sagte ich. Aber ehrlich gesagt, konnte ich mich kaum noch an den inhalt und den stil ihrer briefe erinnern.
eine weile blickte sie schweigend auf die uhr an der wand. als würde sie den fluss der zeit verfolgen.
"was haben sie vor, wenn sie mit dem studium fertig sind?" fragte sie.
ich anwortete, dass ich mich noch nicht entschieden hätte. und dass ich selbst nicht richtig wüsste, was ich machen sollte. als ich das sagte, lächelte sie wieder. "ich glaube, für sie wäre eine arbeit gut, die etwas mit schreiben zu tun hat. die kommentare in ihrern briefen waren grossartig. ich habe mich immer sehr darauf gefreut. das ist mein ernst. kein kompliment. vielleicht haben sie ja nur ihre pflicht erfüllt. trotzdem haben ihrer briefe immer irgendwie ein gefühl vermittelt. ich habe sie alle sorgfältig aufgehoben, und manchmal hole ich sie hervor und lese sie noch einmal."
"vielen dank", sagte ich. "und auch vielen dank für das hamburger steak."
auch jetzt noch, zehn jahre später, denke ich , wenn ich in der odakyu-linie sitze und bei ihrer wohnung vorbeifahre, an ihr krosses hamburger steak. ich betrachte die gebäude, die sich an den schienen entlangreihen, und frage mich, welches wohl ihr fenster ist. ich versuche mich an den blick aus ihrem fenster zu erinnern, und überlege, wo das gewesen sein könnte. aber ich kann mich nicht erinnern.
vielleicht wohnt sie gar nicht mehr dort. doch falls sie noch da wohnt, hört sie wahrscheinlich immer noch allein die gleiche platte von burt bacharach.
hätte ich mit ihr schlafen sollen?
das ist die frage dieser geschichte.
aber ich weiss keine antwort. auch jetzt weiss ich es nicht zu sagen. so viele jahre sind vergangen, ich habe so viele erfahrungen gesammelt, und immer noch gibt es vieles, wovon ich nichts weiss. mir bleibt also nur, aus dem zug zu dem fenster hochzublicken, das vielleicht ihres ist. manchmal habe ich das gefühl, jedes fenster könnte ihr fenster sein. manchmal hingegen scheint es keins davon zu sein. es gibt dort einfach zu viele fenster.
übersetzerin nora bierich
sehr geehrte dame,
mit jedem tag schwindet die winterliche kälte, und in jedem sonnenstrahl kündigt sich der zarte duft des frühlings an. ich hoffe, es geht ihnen gut.
ihren letzten brief habe ich mit vergnügen gelesen. besonders die passage über das verhältnis zwischen hamburger steaks und muskatnuss war recht gut und mit viel sinn für das alltägliche leben geschrieben. mir stiegen die warmen küchendüfte förmlich in die nase, und ich glaubte zu hören, wie das messer die zwiebeln zerhackte. eine einzige stelle dieser art verleiht einem brief bereits lebendigkeit.
beim lesen ihres briefes überkam mich ein solcher heisshunger auf hamburger steaks, dass ich noch am selben abend in ein restaurant um die ecke ging und ein hamburger steak bestellte. zu meiner überraschung bot dieses restaurant acht verschiedene sorten hamburger steak an. es gab steak auf texanische art, auf californische art, auf hawaiische art, auf japanische art und auf noch andere arten. texanische art bedeutet besonders gross. das ist alles. wenn die texaner das wüssten, wären sie sicher erstaunt. das steak auf hawaiische art ist mit ananasscheiben garniert. californische art... habe ich wieder vergessen. bei der japanischen art ist geriebener rettich dabei. der laden ist schick eingerichtet, die kellnerinnen sind alle hübsch und tragen sehr kurze röcke.
aber ich bin nicht dorhin gegangen, um studien über die inneneinrichtung des restaurants zu betreiben oder die beine der bedienung zu betrachten. ich ging einzig und allein dorthin, um ein hamburger steak zu essen, und zwar ein ganz normales hamburger steak, ohne irgendeine art.
ich sagte der kellnerin, dass ich ein ganz normales hamburger steak essen wolle.
die kellnerin antwortete, es täte ihr sehr leid, aber ich könne in diesem restaurant nur steaks auf diese oder jene art essen.
natürlich war das nicht die schuld der kellnerin. nicht sie betimmte die speisekarte, und sie trug auch gewiss nicht freiwillig diese uniform, die jedesmal, wenn sie das geschirr abräumte, einen blick auf ihre schenkel gewährte. deswegen lächelte ic freundlich und bestellte ein hamburger steak auf hawaiische art. ich könne ja die ananas zur seite legen, erklärte sie mir.
die welt ist sonderbar. obwohl ich lediglich ein ganz normales hamburger steak möchte, ist dies in gewissen momenten nur in form eines hamburger steaks auf hawaiische art möglich, von dem man die ananas entfernt.
bei dem von ihnen zubereiteten hamburger steak handelt es sich wohl um ein ganz normales hamburger steak, oder? beim lesen ihres briefes bekam ich jedenfalls richtig lust auf ein von ihnen zubereitetes ganz normales hamburger steak.
im gegensatz dazu hatte ich bei der stelle über die fahrkartenautomaten der staatlichen eisenbahn den eindruck, sie sei etwas zu oberflächlich. ihr ansatz ist zwar interessant, aber die szenerie wird dem leser nicht richtig begreiflich. versuchen sie bitte nicht, irgendwie scharfsinnig zu sein. ein text ist letztendlich ein ersatz.
insgesamt möchte ich ihren neuesten brief mit 70 punkten bewerten. langsam, aber sicher verbessert sich ihr schriftlicher ausdruck. bitte werden sie nicht ungeduldig und bemühen sie sich weiter. ich freue mich schon auf ihren nächsten brief. wie schön wäre es, wenn es bald frühling würde.
tokyo, den 12.märz
ps. vielen dank für die keksschachtel. die kekse waren delikat. da die bestimmungen unserer firma jedoch jedweden persönlichen verkehr ausserhalb von briefen untersagen, bitte ich sie, von weiteren freundlichkeiten dieser art abzusehen. haben sie trotzdem vielen dank.
ich behielt diesen job etwa ein jahr. damals war ich zweiundzwanzig.
ich hatte einen vertrag mit einer seltsamen kleinen firma in iidabashi namens "pen society" geschlossen und schrieb jeden monat über dreissig solcher briefe. für jeden diesen briefe erhielt ich 2000 yen.
"lernen auch sie briefe schreiben, die zu herzen gehen", hiess der slogan dieser firma. neue mitglieder zahlten eine einmalige aufnahmegebühr und einen monatlichen beitrag, dafür konnten sie jeden monat vier briefe an die pen society schicken. im gegenzug korrigierten wir pen master die briefe und schrieben antworten wie die oben zitierte, in denen wir unsere eindrücke wiedergaben und verbesserungsvorschläge machten. ich war im studentenbüro der literaturfakultät auf den aushang der firma gestossen, in dem sie junge leute für diese tätigkeit warb, und hatte mich für ein bewerbungsgespräch gemeldet. aufgrund verschiedener umstände hatte ich mich damals gerade dazu entschlossen, mein studium um ein jahr zu verlängern. meine eltern hatten mir mitgeteilt, dass sie im falle eines zusätzlichen studienjahres die monatlichen zuwendungen nächstes jahr kürzen würden. das zwang mich, meinen lebensunterhalt selbst zu verdienen. ich ging also zu dem bewerbungsgespräch, schrieb ein paar aufsätze und wurde eine woche später eingestellt. in der folgenden woche wurde ich von einem dozenten über die kunst der korrektur, das know-how des anleitens und über verschiedene vorschriften unterrichtet. es war nicht besonders schwer.
den weiblichen mitgliedern wurden männliche, den männlichen mitgliedern weibliche pen master zugeteilt. ich war für insgesamt vierundzwanzig mitglieder verantwortlich, deren alter von vierzehn bis dreiundfünfzig reichte. das durchschnittsalter lag zwischen fünfundzwanzig und fünfunddreissig, der grossteil der frauen war also älter als ich. den ersten monat verwirrte mich das sehr. die meisten mitglieder verfügten über einen viel elaborierteren stil und waren viel erfahrener im briefeschreiben als ich. ehrlich gesagt, hatte ich bis dahin kaum ernsthafte briefe verfasst. blut und wasser schwitzend, brachte ich irgendwie den ersten monat herum. ich war darauf gefasst, dass einige mitglieder nach einem neuen pen master verlangen würden - ein reicht, das den mitgliedern laut firmenstatut zugebilligt wurde.
aber nach ablauf eines monats hatte kein einziges mitglied unzufriedenheit über meine stilistische fähigkeiten geäussert. im gegenteil, der geschäftsinhaber teilte mir mit, dass ich ausserordentlich beliebt sei. nach drei monaten schien sich die ausdrucksfähigkeit meiner mitglieder aufgrund meiner anleitung sogar verbessert zu haben. es war sonderbar. die frauen schienen mir als lehrer tiefes vertrauen entgegenzubringen. infolgedessen gelang es mir, meine briefkommentare von nun an viel unbeschwerter und lockerer zu formulieren.
wenn ich jetzt darüber nachdenke, weiss ich, dass diese frauen (beziehungsweise männer) alle sehr einsam waren. sie wollten nur sich jemanden in einem brief mitteilen. doch es fehlte ihnen - eine tatsache, die mir damals unglaublich erschien - freunde oder bekannte, an die sie diese briefe richten konnten. sie waren nicht der typ, der briefe an diskjockeys vom radio schickte. sie suchten eine persönlichere form. auch wenn diese die gestalt von korrekturen und kommentaren annahm.
so verbrachte ich also einen teil meiner frühen zwanziger wie ein seehund auf dem trockenen in einem harem lauer briefe.
unter den briefen, die mir die mitglieder schickten, gab es alle möglichen sorten. es gab langweilige briefe, lustige briefe und traurige briefe. dies ist jetzt alles schon lange her, und ich habe die briefe auch leider nicht vor mir liegen (denn eine bestimmung besagte, dass alle briefe an die firma zurückgegeben werden mussten). ich erinnere mich daher nicht mehr genau an ihre inhalte, aber ich weiss noch, dass in diesen briefen wirklich die verschiedensten vorgänge des menschlichen lebens - vom grossen ereignis bis zum kleinsten kleinkram - ausgebreitet, zusammengedrängt und preisgegeben wurden. für mich ein- oder zweiundzwanzigjährigen studenten besassen die botschafen, die diese frauen übermittelten, eine seltsame unwirklichkeit. in den meisten fällen schienen sie mir jeder realität zu entbehren, und manchmal hatte ich das gefühl, als seien sie ganz und gar bedeutungslos. das lag jedoch nicht nur daran, dass es mir an lebenserfahrung fehlte. erst heute ist mir klar, dass in den meisten fällen die realität der dinge nicht vermittelt wird. die realität muss hergestellt werden. dadurch entsteht dann eine bedeutung. aber damals wusste ich das natürlich noch nicht, und auch die frauen wussten es nicht. und das ist wahrscheinlich auch der grund dafür, dass mir alles, was in diesen briefen beschrieben wurde, sonderbar einförmig vorkam.
als ich den job kündigte, bedauerten das alle von mir betreuten mitglieder. auch mir tat es in gewissem sinne leid - obwohl ich , ehrlich gesagt, schon leichte aversionen gegen dieses andauernde briefeschreiben entwickelt hatte. ich ahnte, dass ic nicht noch einmal gelegenheit hatte, dass sich so viele menschen mir gegenüber so offen aussprechen würden.
was das hamburger steak anbelangt, ergab es sich, dass ich tatsächlich ein von ihr (meiner ersten briefeschreiberin) zubereitetes hamburger steak serviert bekam.
sie war zweiunddreissig und hatte keine kinder. ihr mann war in der fünftgrössten handelsfirma des landes angestellt. als ich ihr in meinem letzten brief schrieb, dass ich leider zum ende des monats aufhören würde, lud sie mich zum mittagessen ein. "ich bereite ihnen ein ganz normales hamburger steak", schrieb sie. und obwohl es gegen die verordnung der firma war, beschloss ich, hinzugehen. nichts stand der neugier eines zweiundzwanzigjährigen jungen mannes entgegen.
ihre wohnung lag direkt an den gleisen der odakyu-linie. die zimmer waren einfach, wie es sich für ein kinderloses ehepaar geziemte. die möbel, die lampen und auch ihr pullover machten keinen besonders teuren eindruck, aber alles war sehr geschmackvoll. unsere begegnung begann mit einer gegenseitigen überraschung: ich war überrascht, dass sie viel jünger wirkte, als ich sie mir vorgestellt hatte, sie, dass ich viel jünger war, als sie vermutet hatte. sie hatte geglaubt, ich sei älter als sie. die pen society gibt das alter ihrer pen master nicht bekannt.
doch nachdem sich unsere jeweilige überraschung gelegt hatte, löste sich auch die spannung, die man bei einem ersten treffen empfindet. einträchtig wie zwei fahrgäste, die denselben zug verpasst hatten, assen wir unsere hamburger steaks und tranken kaffee. bei zug fällt mir übrigens ein, dass man vom fenster ihrer wohnung im dritten stock aus die bahngleise sehen konnte. es war wunderschönes wetter an diesem tag, überall auf den balkons der umliegenden wohnungen hingen futons und laken zum lüften in der sonne. von zeit zu zeit hörte man, wie ein futon ausgeklopft wurde. ich kann mich auch jetzt noch an dieses geräusch erinnern. seltsamerweise wusste man nicht, ob es von nahem oder von weitem kam.
ihr hamburger steak schmeckte vorzüglich. es war genau richtig gewürzt und war aussen kross und innen noch ganz saftig. auch die sauce war perfekt. und obwohl ich vielleicht nicht behaupten kann, noch nie in meinem leben ein vorzügliches hamburger steak gegessen zu haben, war es doch das beste seit langem. sie freute sich, als ich ihr das sagte.
nach dem kaffe erzählten wir uns, während eine platte von burt bacharach lief, unsere lebensgeschichte. das heisst, da ich noch keine richtige lebensgeschichte hatte, redete sie fast die ganze zeit. als studentin wollte sie schriftstellerin werden, sagte sie. sie bewunderte francaoise sagan und erzählte mir von ihr. besonders gefiel ihr aimez-vous brams? ich hatte nichts gegen sagan. auf jeden fall fand ich sie nicht so vulgär, wie behauptet wurde. es müssen ja nicht alles so schreiben wie henry miller oder jean genet.
"aber ich kann nicht schreiben", sagte sie.
"es ist nie zu spät, damit anzufangen", sagte ich.
"nein, da bin ich mir sicher. sie waren derjenige, der mir das gezeigt hat", sagte sie lachend. "ich begriff es, als ich ihnen briefe schrieb. ich besitze kein talent."
ich wurde rot. mittlerweile passiert mir das zwar nicht mehr oft, aber mit zweiundzwanzig errötete ich noch ständig. "in dem was sie schrieben, lag eine grosse aufrichtigkeit", sagte ich.
sie antwortete nicht und lächelte nur ein wenig. ein leises lächeln.
"zumindest habe ich beim lesen ihres briefes lust auf hamburger steak bekommen."
"sie müssen sehr hungrig gewesen sein", sagte sie freunlich.
nun, vielleicht stimmte das.
mit dumpfen rattern fuhr unter dem fenster ein zug vorbei.
als die uhr fünf schlug, sagte ich, dass ich langsam gehen müsse. "sie wollen sicher noch das abendessen vorbereiten, bevor ihr mann nach hause kommt."
"mein mann kommt sehr spät", sagte sie, den kopf auf die hände gestützt. "er kommt nicht vor mitternacht heim."
"ihr mann ist sehr beschäftigt."
"ja, wahrscheinlich", sagte sie und machte eine kleine pause.
"ich glaube, ich haben ihnen einmal in einem brief davon geschrieben. ich kann mit meinem mann über viele dinge nicht wirklich reden. ich kann ihm meine gefühle nicht vermitteln. wenn ich mit ihm spreche, habe ich oft den eindruck, als sprächen wir unterschiedliche sprachen."
ich wusste nicht, was ich ihr antworten sollte. mir war unverständlich, wie man mit jemandem zusammenleben konnte, dem man seine gefühle nicht mitzuteilen vermochte.
"aber das ist schon in ordnung", sagte sie leise. so wie sie es sagte, schien es wirklich in ordnung zu sein. "vielen dank, dass sie mir über eine so lange zeit briefe geschrieben haben. es war mir eine grosse freude. ihnen schreiben zu dürfen, hat mir wirklich sehr geholfen", sagte sie.
"mir haben die briefe auch freude gemacht", sagte ich. Aber ehrlich gesagt, konnte ich mich kaum noch an den inhalt und den stil ihrer briefe erinnern.
eine weile blickte sie schweigend auf die uhr an der wand. als würde sie den fluss der zeit verfolgen.
"was haben sie vor, wenn sie mit dem studium fertig sind?" fragte sie.
ich anwortete, dass ich mich noch nicht entschieden hätte. und dass ich selbst nicht richtig wüsste, was ich machen sollte. als ich das sagte, lächelte sie wieder. "ich glaube, für sie wäre eine arbeit gut, die etwas mit schreiben zu tun hat. die kommentare in ihrern briefen waren grossartig. ich habe mich immer sehr darauf gefreut. das ist mein ernst. kein kompliment. vielleicht haben sie ja nur ihre pflicht erfüllt. trotzdem haben ihrer briefe immer irgendwie ein gefühl vermittelt. ich habe sie alle sorgfältig aufgehoben, und manchmal hole ich sie hervor und lese sie noch einmal."
"vielen dank", sagte ich. "und auch vielen dank für das hamburger steak."
auch jetzt noch, zehn jahre später, denke ich , wenn ich in der odakyu-linie sitze und bei ihrer wohnung vorbeifahre, an ihr krosses hamburger steak. ich betrachte die gebäude, die sich an den schienen entlangreihen, und frage mich, welches wohl ihr fenster ist. ich versuche mich an den blick aus ihrem fenster zu erinnern, und überlege, wo das gewesen sein könnte. aber ich kann mich nicht erinnern.
vielleicht wohnt sie gar nicht mehr dort. doch falls sie noch da wohnt, hört sie wahrscheinlich immer noch allein die gleiche platte von burt bacharach.
hätte ich mit ihr schlafen sollen?
das ist die frage dieser geschichte.
aber ich weiss keine antwort. auch jetzt weiss ich es nicht zu sagen. so viele jahre sind vergangen, ich habe so viele erfahrungen gesammelt, und immer noch gibt es vieles, wovon ich nichts weiss. mir bleibt also nur, aus dem zug zu dem fenster hochzublicken, das vielleicht ihres ist. manchmal habe ich das gefühl, jedes fenster könnte ihr fenster sein. manchmal hingegen scheint es keins davon zu sein. es gibt dort einfach zu viele fenster.
kerstin13, 16:33h ... link (6 Kommentare) ... comment
Mittwoch, 13. Juli 2005
es müsste immer musik da sein
weisst du, was ich manchmal denke - es müsste immer musik da sein, bei allem was du machst.
und wenn´s so richtig scheisse ist, dann ist weinigstens noch die musik da.
und an der stelle, wo es am allerschönsten ist, da müsste die platte springen und du hörst immer nur diesen einen moment.
aus absolute giganten
und wenn´s so richtig scheisse ist, dann ist weinigstens noch die musik da.
und an der stelle, wo es am allerschönsten ist, da müsste die platte springen und du hörst immer nur diesen einen moment.
aus absolute giganten
kerstin13, 02:02h ... link (5 Kommentare) ... comment
Mittwoch, 15. Juni 2005
Am Kai liegt eine Tabakdose
darin in ein winziges Segel gerollt
die letzten Brösel zur Zigarette -
ein Segel ist ein Abschied sagte Jolie und
eine Geschichte genau eine Zigarette lang -
wer vermisst schon eine Dose und wer
erinnert sich schon an mich - Jolie
unsere Geschichte liegt noch am Kai
die letzten Brösel zur Zigarette -
ein Segel ist ein Abschied sagte Jolie und
eine Geschichte genau eine Zigarette lang -
wer vermisst schon eine Dose und wer
erinnert sich schon an mich - Jolie
unsere Geschichte liegt noch am Kai
kerstin13, 21:21h ... link (1 Kommentar) ... comment
... nächste Seite